von Lisa Keilhofer

Blutgruppe als zentraler Faktor bei der Besiedlung des Mikrobioms

Welche Faktoren beeinflussen unser Darm-Mikrobiom
Blutgruppe als zentraler Faktor bei der Besiedlung des Mikrobioms

Im Januar 2021 veröffentlichte ein Forscherteam der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) eine Studie, die einen bislang unbekannten Zusammenhang zwischen Blutgruppe und Mikrobiom nachweise konnte (1). Das menschliche Mikrobiom rückte in den letzten Jahren erfreulicherweise stark ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses und gilt inzwischen als einigermaßen gut erforscht. Deswegen ist es umso spannender, wenn aus diesem Feld gänzlich neue Erkenntnisse vermeldet werden können.

Welche Faktoren beeinflussen unser Darm-Mikrobiom?

Der bisherige Stand der Forschung hatte bereits diverse Faktoren identifiziert, die die Komposition des Darm-Mikrobioms beeinflussen und bestimmen. Bereits mit der Art der Geburt wird dem Menschen eine „Grund-Ausstattung“ an Darm-Mikroben in die Wiege gelegt (vgl. proof-of-concept Studie zu Fäkaltransfer 2). Und wie schon die Binsenweisheit „du bist, was du isst“ verlauten lässt, bestimmt unsere Ernährung zu einem großen Teil darüber, welche und wie viele Mikroben in uns überlebensfähig sind (alles über Ernährung und Darm-Mikrobiom von den führenden Experten in diesem Feld, Dr. Rob Knight und Jack Gilbert 3). Aber auch unser regionales Umfeld trägt dazu bei, wie unsere Eingeweide besiedelt sind (4). Ein weiterer Einflussfaktor konnte nun von dem genannten Forscherteam der CAU bestätigt werden: die Genetik.

Genloci beeinflussen die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms

Die Veröffentlichung der CAU basiert auf einer Studie, die Stuhl-Proben von 8.956 Deutschen zu fünf Kohorten aus den Städten Kiel, Augsburg und Greifswald umfasst und damit deutschlandweit die bisher größte genomweite Assoziationstudie (GWAS) darstellt (2). Diese Erhebung zeigt eine Korrelation zwischen 38 Genloci (also, ein Genlocus ist die genaue Position eines Gens auf einem Chromosom) und der Kolonisation des Darm-Mikrobioms.

Die Wissenschaftler der CAU unter der Leitung von Prof. Dr. Andre Franke konnten in ihrer Studie einen Zusammenhang zwischen den Genen welche  für das ABO-Blutgruppensystem verantwortlich sind und der mikrobiellen Komposition in unserem Darm feststellen. Die Blutgruppen A, B und AB geben als „Sekretoren“ Blutgruppenantigene in den Darm. Diese sind maßgeblich für das Wachstum einer Bakteriengattung verantwortlich. Es handelt sich vor allem um Zuckerreste, die den im Darm ansässigen Bacteroides als Energielieferanten dienen und damit deren Vorkommen fördern (siehe auch 5).

Erstautor Dr. Malte Rühlemann erläutert: „Frühere Studien konnten zeigen, dass Menschen ohne diesen Sekretionsweg zum Beispiel besser vor Norovirus-Infektionen geschützt sind“. Auch Co-Autor Prof. John Baines forscht seit geraumer Zeit an diesen Formen des Metabolismus und freut sich, mit der vorliegenden Studie einen weiteren wichtigen Meilenstein in der Forschung gelegt zu haben.

Hinweise auf leichteren Covid-19-Verlauf bei Blutgruppe 0

Die Ergebnisse tragen auch zum besseren Verständnis von Coronavirus-Infektionen bei. (6). Eine genomweite Assoziationsstudie (GWAS) untersuchte 1980 Patienten mit schweren Verläufen einer SARS-CoV-2- Infektion aus sieben Krankenhäusern in Italien und Spanien. Die Auswertungen zeigten, dass Patienten der Blutgruppe A zu einem schwereren Verlauf als die anderen Patienten neigten. Die mildesten Verläufe wurden mit Blutgruppe 0 erfasst.

Auf die Ergebnisse bezieht sich auch die offizielle Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (7), die durch Fördergelder auch zur Durchführung der Studie und zum Erkenntnisgewinn um das neue Coronavirus beitrug. Als zentrale Erkenntnis hebt die Zusammenfassung des BMBF hervor, dass der Abschnitt auf Chromosom 3 als entscheidender Genlocus identifiziert werden konnte. Eben dieser Abschnitt zeigte sich auch für die GWAS um das Norovirus als relevant.

Risikopatient dank Blutgruppe?

Wie müssen wir diese Erkenntnisse einordnen? Ist man mit Blutgruppe A, B oder AB schlechter für Virusattacken gewappnet? Einige Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen Blutgruppen und der Schwere des Verlaufs einer Infektion. Allerdings ist die Blutgruppe natürlich bei weitem nicht der einzige Faktor, der über die Gesundheit entscheidet.

Gleichermaßen aber öffnet uns diese Erkenntnis eine Tür, die einen spannenden Kausalzusammenhang offenbart: Neben Ernährung und äußerer Umstände sowie der Art der Geburt kommt noch ein weiterer zentraler Faktor hinzu, der über die Zusammensetzung und damit über die Funktionsfähigkeit unseres Darm-Mikrobioms entscheidet: die Genetik. Die vorliegende Studie verdeutlicht einmal mehr, wie komplex die Zusammenhänge zwischen unserem Körper und unserem Mikrobiom sind. Wir können davon ausgehen, dass es noch einige weitere genetische Faktoren gibt, die sich in unserem Körper durch das Vorkommen oder die Abwesenheit von Stoffwechselprodukten manifestieren und damit die Grundlage für bestimmte Mikroben legen – oder eben auch nicht. Die Autoren der Studie sehen darin einen weiteren wichtigen Baustein für Forschungen zu Therapiemöglichkeiten, die im Darm-Mikrobiom ansetzen.

Links zu Quellen:

(1) Rühlemann M, Hermes B, Bang C et al. Genome-wide association study in 8,956 German individuals identifies influence of ABO histo-blood groups on gut microbiome. Nat Genet (2021). https://doi.org/10.1038/s41588-020-00747-1

(2) Korpela K, Helve O, KolhoK-L, Salonen A, Andersson S, de Vos W. Maternal Fecal Microbiota Transplantation in Cesarean-Born Infants Rapidly Restores Normal Gut Microbial Development: A Proof-of-Concept Study. Cell (2020). Maternal Fecal Microbiota Transplantation in Cesarean-Born Infants Rapidly Restores Normal Gut Microbial Development: A Proof-of-Concept Study (cell.com)

(3) Gilbert J, Knight R. Dirt is Good (2007). Review unter Dreck macht Speck? Überzogene Hygienemaßnahmen und das Immunsystem. - MyMicrobiome

(4) Vangay P, Johnson AJ, Ward TL, Kashyap PC, Culhane-Pera KA, Knights D. US Immigration Westernizes the Human Gut Microbiome. Cell (2018). US Immigration Westernizes the Human Gut Microbiome (cell.com)

(5) Darmmikrobiom: Einfluss der Blutgruppe - DocCheck. https://www.doccheck.com/de/detail/articles/31363-darmmikrobiom-einfluss-der-blutgruppe

(6) Franke A, et al. Genomewide Association Study of Severe Covid-19 with Respiratory Failure, N Engl J Med (2020), https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2020283

(7) BMBF, Covid-19: Schwerer Verlauf durch Blutgruppe beeinflusst? (2020), https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/covid-19-schwerer-verlauf-durch-blutgruppe-beeinflusst-11688.php

Lisa Keilhofer
Lisa Keilhofer
Autorin

Lisa Keilhofer studierte an der Universität Regensburg. Sie arbeitet im Bereich Internationalisierung und als freiberufliche Lektorin.

Dir gefällt was du gelesen hast? Teile es mit deinen Freunden!

Zurück

Datenschutz­einstellungen

Wenn Sie auf „Alle akzeptieren“ klicken, stimmen Sie der Speicherung von Cookies auf Ihrem lokalen Gerät zu. Dadurch verbessert sich die Navigation auf der Seite, Videoinhalte können dargestellt werden und wir können anonym analysieren, ob die Seiten so genutzt werden, wie gedacht. Alle Freigaben erfolgen nach den Vorschriften der DSGVO.

You are using an outdated browser. The website may not be displayed correctly. Close