von Lisa Keilhofer

Die Vielfalt des Mikrobioms wiederherstellen, bevor es zu spät ist

Die Vielfalt des Mikrobioms
Wir müssen damit anfangen die Vielfalt des Mikrobioms wiederherzustellen - bevor es zu spät ist.

In einem Anfang Oktober 2018 veröffentlichten Artikel hält ein vierköpfiges US-Amerikanisches Forscherteam (Maria G. Dominguez Bello, Rutgers University; Rob Knight, University of California San Diego; Jack A. Gilbert, University of Chicago und Martin J. Blaser, New York University Langone Medical Center) ein flammendes Plädoyer für die dringende Notwendigkeit, fast schon verlorengegangene Vielfalt an Mikrobiomen zu konservieren. Um die Dramatik zu unterstreichen, mit der die Vier das Szenario darstellen, soll hier der abschließende Satz zu Anfang stehen: „Wir müssen damit anfangen, bevor es zu spät ist“.

Wofür brauchen wir Viren und Bakterien in unserem System?

Grundlage für den dringenden Appell an die weltweite Forschergemeinschaft ist die (nicht brandneue, aber öffentlich immer noch zu wenig beachtete) Erkenntnis, dass es nicht nur bösartige Viren und Bakterien gibt, sondern sehr nützliche. Ein Magen-Darm-Trakt mit einem entsprechenden Vorrat kann besser auf Krankheitserreger reagieren, kann ein stabiles Immunsystem ausbilden, kann Krankheiten im Verdauungstrakt bis hin zu Autismus vorbeugen. Und das ist nur eine Auswahl des Repertoires.

Wie sieht das Mikrobiom eines durchschnittlichen Menschen aus?

Über Jahrtausende hinweg haben Menschen eine Vielzahl an Mikrobiom-Variationen ausgebildet. Abhängig von Herkunft, Ernährung, Klima und vielen anderen Faktoren konnten sich Systeme entwickeln, die auf die jeweiligen Anforderungen gut reagieren konnten. Das asiatische Mikrobiom weist also grundsätzlich eine andere Zusammensetzung auf als das europäische. Diese gewissermaßen kultivierte Vielfalt wird von Generation zu Generation weitergegeben.

Industrialisierung zerstört gesundes Mikrobiom

Aber dann kam die Industrialisierung. Was über Tausende von Generationen immer mehr verfeinert wurde, sah sich plötzlich einer enormen Bedrohung ausgesetzt: Mit der Industrialisierung kam zum einen eine verbesserte medizinische Versorgung auf. Krankheiten wie Tuberkulose konnten Dank Antibiotikum so gut wie ausgerottet werden. Dass Antibiotikum nicht nur die schlechten, sondern auch alle guten Bakterien abtötet und sich Resistenzen bilden, die Wunderwaffe also nicht mehr ewig funktionstüchtig sein dürfte, ist nur einer der Dominosteine, den die Industrialisierung zu Fall brachte.

Gut gemeinte und teilweise natürlich durchaus sinnvolle Hygienemaßnahmen nahmen Überhand. Wasser wird aufbereitet, Kinder kommen immer seltener auf natürlichem Weg, sondern per Kaiserschnitt zur Welt und werden seltener gestillt, Lebensmittel werden immer mehr industriell verarbeitet, enthalten ungesunde Fette und Zucker: all diese Veränderungen lassen unser Mikrobiom verkümmern. Der Anteil der Weltbevölkerung im urbanen Lebensraum liegt bei über 50%, Tendenz stark ansteigend. Es ist also zu erwarten, dass die Gemeinschaften, in denen noch intakte Mikrobiome zu finden sind, weiterhin radikal schrumpfen. Damit steigt auch das Krankheitsrisiko dieser Gruppe und die damit zu erwartenden Kosten drastisch an.

Nur noch wenige wirklich intakte Mikrobiome weltweit

Und das ist auch die dringende Forderung der Forschergruppe: diese letzten Gemeinschaften, die abseits dessen leben, was man Zivilisation nennt, müssen identifiziert und untersucht werden, deren Mikrobiom konserviert und möglichst in einer Art Vorratsbank gehalten werden, um sukzessive wieder dem Rest der Bevölkerung zugänglich gemacht zu werden. Probleme sehen die Autoren realistisch: Um ein menschliches Mikrobiom zu entschlüsseln und Bestandteile zu isolieren braucht es Proben von Stuhlgang, Vaginalsekreten oder anderen unappetitlichen Dingen, es erfordert also ein gewisses Fingerspitzengefühl, an diese letzten „zivilisationsfremden“ Gruppen heranzutreten. Auch technisch ist ausgerechnet in den entsprechenden Gegenden Laborarbeit nur erschwert möglich. Vor allem aber ist auch Fingerspitzengefühl angebracht, wem hinterher welches Mikrobiom „verabreicht“ werden soll. Immerhin gibt bzw. gab es so viele Varianten, die an die unterschiedlichsten Voraussetzungen angepasst waren, dass es nicht sinnvoll scheint, eine Generalimpfung für alle „Stadtmenschen“ weltweit zu kreieren. Aber diese Überlegungen stellen die Forscher in ihrer Dringlichkeit zurück. Zunächst ist wichtig, die noch verbliebenen intakten Mikrobiome aufzuspüren und zu retten. Bevor es zu spät ist.

Lisa Keilhofer
Lisa Keilhofer
Autorin

Lisa Keilhofer studierte an der Universität Regensburg. Sie arbeitet im Bereich Internationalisierung und als freiberufliche Lektorin.

Dir gefällt was du gelesen hast? Teile es mit deinen Freunden!

Zurück

Datenschutz­einstellungen

Wenn Sie auf „Alle akzeptieren“ klicken, stimmen Sie der Speicherung von Cookies auf Ihrem lokalen Gerät zu. Dadurch verbessert sich die Navigation auf der Seite, Videoinhalte können dargestellt werden und wir können anonym analysieren, ob die Seiten so genutzt werden, wie gedacht. Alle Freigaben erfolgen nach den Vorschriften der DSGVO.

You are using an outdated browser. The website may not be displayed correctly. Close