von Lisa Keilhofer

Dreck macht Speck? Überzogene Hygienemaßnahmen und das Immunsystem.

Dreck macht Speck
Im Dreck zu spielen ist dann für Kinder sinnvoll, wenn es sich um lebendigen, nährstoffreichen Boden mit viel organischem Material handelt. (Picture: © Phils Photography – stock.adobe.com)

Dreck macht Speck. Diese Redewendung kommt im Deutschen vor allem dann zum Einsatz, wenn Essen unabsichtlich auf dem Boden landet und trotzdem noch gegessen wird. Dreck schadet nicht. Dreck ist gut für dich (zu Zeiten, in denen sich der Spruch etablierte, war Speck etwas Positives, der einen die nächste Missernte überstehen ließ. Im 21. Jahrhundert nicht mehr ganz sinngemäß).

Im Sommer 2017 veröffentlichten Rob Knight und Dr. Jack Gilbert, einer der führenden Mikrobiom-Forscher der University of Chicago, ein Buch mit dem Titel „Dirt is Good. The Advantage of Germs on your Child`s Developing Immune System” (bislang nur auf Englisch erhältlich). Das Buch soll eine Handreichung vor allem für Schwangere und junge Eltern sein, in der darauf eingegangen wird, wie viel „Dreck“ für unsere Kinder gesund ist.

In einem Interview mit dem Gastroenterologen, Professor und Autor Emeran Mayer, welches im Dezember 2018 veröffentlicht wurde, werden die wichtigsten Inhaltspunkte des Buches besprochen, welche wir hier zusammenfassen möchten:

Antibiotika als Kern des Problems

Zu Beginn dreht sich das Gespräch um den übertriebenen Einsatz von Antibiotika für Schwangere, Babys und Kleinkinder. Dr. Gilbert unterscheidet hier zwischen der Möglichkeit einer Erkrankung und der Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung. Vor allem amerikanische Ärzte neigen dazu, Antibiotika zu verabreichen, wenn die schiere Möglichkeit einer Erkrankung unterbunden werden kann. Das mag sinnvoll sein aus der Perspektive, dass Antibiotika praktisch ohne Nebenwirkungen funktionieren, wie lange angenommen wurde. Neueste Erkenntnisse legen aber nahe, dass der Einsatz von Antibiotika eine gesunde Entwicklung des kindlichen Mikrobioms massiv beeinträchtigt. Unter diesen Vorzeichen sollte der Einsatz von Antibiotika neu bewertet werden. Und da Ärzte oft noch zu der üblichen Verfahrensweise tendieren, sollte man als Eltern ein offenes Gespräch suchen. Wenn man die Wahrscheinlichkeit kennt, mit der eine Erkrankung eintritt, kann man sinnvoller abschätzen, ob man die möglichen Folgen einer Antibiotikabehandlung in Kauf nehmen will oder nicht.

Mayer fragt in dem Zusammenhang auch nach Dr. Gilberts Meinung zum Einsatz von Probiotika als Nachbehandlung von Antibiotika. Mit Probiotika soll sozusagen der gesunde und nützliche Teil an Bakterien im menschlichen Organismus wiederhergestellt werden. Gilbert zeigt sich aber skeptisch diesem Ansatz gegenüber. Manche Patienten reagieren empfänglicher als andere auf diese Maßnahmen und belastbare Forschungsergebnisse liegen noch nicht vor, sodass eine Probiotika-Therapie derzeit keine Empfehlung sein kann, meint Gilbert.

Ist Dreck gut? Dem Titel des Buches auf den Zahn gefühlt

Gilbert räumt ein, dass der Titel seines Buches vom Verleger bewusst provokant gewählt wurde, um die Aufmerksamkeit der Leser darauf zu lenken. Natürlich kann man nicht pauschal behaupten, Dreck wäre grundsätzlich und immer gut. Dennoch gibt er zu bedenken, dass sich in westlichen, urbanisierten Gesellschaften eine gewisse unbegründete Angst vor Dreck ausgebreitet hat. Völlig überzogene Hygienemaßnahmen und die Erschaffung einer möglichst sterilen Lebenswelt sind die Konsequenz. Für Eltern ist es ratsam, ein gesundes Maß an Menschenverstand in der „Art und Dosierung“ von Dreck walten zu lassen.

Im Dreck zu spielen ist dann für Kinder sinnvoll, wenn es sich um lebendigen, nährstoffreichen Boden mit viel organischem Material handelt. Die hier enthaltenen Mikroorganismen stimulieren das Immunsystem und begünstigen die Entwicklung eines vielfältigen Mikrobioms. Leider sind in Zeiten intensiver Landwirtschaft und Bodennutzung die Böden im besten Fall leblos und bestehen faktisch nur aus Staub. Im ungünstigsten Fall könnten Böden auch mit industriellen Abfallprodukten wie Quecksilber belastet sein oder mit Düngemitteln und anderen Schadstoffen angereichert, die einem Kind eher schaden als nützlich sind.

Jack Gilbert
"Our health is instrinsically linked to the environment around us" - Jack Gilbert (Picture: https://www.uchicagomedicine.org/)

Tierhaare, Hausstaub und Pollen – die Feinde aller übersensiblen Eltern

Selbiges Augenmaß gilt im Umgang mit allen Umwelteinflüssen. Sein Kind an die „frische Luft“ zu bringen ist grundsätzlich immer eine begrüßenswerte Idee, aber je nach Grad der Luftverschmutzung in manchen Gegenden nicht ohne Weiteres möglich. Sein zu Hause mit Hunden und Katzen zu teilen und sein Kind nicht nach jedem Hundekuss mit Desinfektionstüchern zu bearbeiten, ist eine gute Grundvoraussetzung, um spätere Tierhaarallergien zu vermeiden. Andersherum ist es aber nicht sinnvoll, Großstadtkinder mit Bussen in Massentierhaltungsbetriebe zu karren, nur um sie auch in den Genuss von Tierkontakt kommen zu lassen.

Leichter regulieren lässt sich der Umfang häuslicher Hygiene. Mit das beste Abwehrsystem haben Kinder aus Amish-Farmen, die ohne so genannte moderne Hygienemaßnahmen aufwachsen. Entnimmt man Hausstaub aus Amish-Haushalten und setzt Allergiker-Mäuse diesem Staub aus, kann man sogar eine Hypersensibilisierung und Verringerung der Allergien beobachten. Sein zu Hause also nicht möglichst keimfrei zu halten und auf allzu aggressive Reinigungsmittel zu verzichten, ist in jedem Fall sinnvoll (außer man hat gerade einen Mitbewohner mit Salmonellenvergiftung, dann ist das viel beschworene Augenmaß wieder angesagt).

Was können wir beeinflussen und was nicht?

Abschließend gibt Gilbert noch Tipps zu gesunder Lebensführung. Grundsätzlich fördert viel Bewegung an der frischen Luft und gesunde Ernährung ein intaktes Mikrobiom. Ballaststoffreiche Nahrung, wenig industriell verarbeitete Produkte, viel Fisch, Obst und Gemüse (im Deutschen als „Ampel-Essen“ bekannt, im Englischen verwendet Gilbert den Ausdruck „eat the rainbow“, also gerne auch mehr Farben als die übliche Ampel!) sind die Empfehlungen. Hier spricht er noch ein neues Thema an, nämlich die Herkunft des Essens. Unter welchen Bedingungen wurde der Weizen, der Wein, das Obst angebaut? Welche Pestizide und Düngemittel wurden ausgebracht, wie ist die Beschaffenheit des Bodens? Woher stammt der Fisch, wie ist die Belastung des Gewässers an Schwermetallen und Mikroplastik?

Direkt beeinflussen können wir die Auswahl unserer Lebensmittel nach diesen Kriterien. In Sachen Umweltschutz und Regulierung der Umweltverschmutzung ist natürlich vor allem die Industrie und die Politik gefragt und man hat als Einzelner oft das Gefühl, sehr abhängig von diesen Entscheidungen zu sein. Gilbert verweist aber auf die freie Marktwirtschaft. Zwar können alle möglichen Produkte auf dem Markt angeboten werden, aber der Verbraucher entscheidet, was sich durchsetzt. Wenn wir alle nur noch Produkte konsumieren, die nachhaltig produziert werden und möglichst frei von Chemikalien sind, die unsere Umwelt von der Herstellung bis zur Entsorgung der Verpackung möglichst wenig beeinträchtigen – dann wird sich mittelfristig der freie Markt und auch die Politik am Willen der Mehrheit orientieren.

Und mit diesem positiven Gedanken schließt Gilbert sein Interview. Viele Initiativen sind bereits gestartet. Und wenn genug Menschen ein echtes Interesse daran zeigen, die Umwelt so zu erhalten, dass auch künftige Generationen gesund und nachhaltig leben können, dann wird genau das möglich sein.

Lisa Keilhofer
Lisa Keilhofer
Autorin

Lisa Keilhofer studierte an der Universität Regensburg. Sie arbeitet im Bereich Internationalisierung und als freiberufliche Lektorin.

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