von Lisa Keilhofer

Mikroben bilden unsere sozialen Netzwerke ab

Der Aufhänger für diese Studie wird den meisten Menschen vertraut sein. Ein kleines Kind fährt mit Mutter oder Vater in der U-Bahn, die kleinen Kinderhände berühren so ziemlich jede Oberfläche, die dieser öffentliche Raum zu bieten hat, von Fensterscheiben über Griffe, Sitzflächen bis hin zum Fußboden und wandern dann unbefangen in den Kindermund. Der Vater des Kindes, von dem hier die Rede ist, ist der Mikrobiologe Chris Mason und diese U-Bahn-Fahrt motivierte ihn zu einer Studie über das Mikrobiom von Großstädten. Und siehe da: Er konnte nachweisen, dass Großstädte ihren individuellen mikrobiellen Fingerabdruck haben (1).

Grundlagen für die Besiedlung unseres Mikrobioms

Der Versuchsaufbau sah vor, Proben von Drehkreuzen und anderen häufig berührten Oberflächen zunächst in New York City, in einem zweiten Schritt in 60 weiteren Städten weltweit zu nehmen und hinsichtlich ihrer Zusammensetzung zu untersuchen. Um die Studie richtig einordnen zu können, stellt sich zunächst die Frage, welche Mikroben dort erwartet werden und was diese über die Bewohner einer Stadt aussagen.

An Oberflächen wie Türgriffen erwartet man gewissermaßen den Querschnitt aller menschlichen Mikroben. Angefangen von Hautmikroben, über in die Handfläche gehustete Lungenmikroben bis hin zu Darm-Bakterien, die durchaus auch auf den Handflächen zu finden sind: Griffe stellen – gerade im öffentlichen Raum – wahre Fundgruben für alle Mikrobiologen dar. Entsprechend beeindruckend ist auch das Ergebnis der Erhebungen: (2)

Die extensive Datenerhebung erfolgte über einen Zeitraum von drei Jahren in 60 Großstädten von Baltimore nach Bogotá, auf allen fünf Kontinenten. Eine interaktive Karte dokumentiert beeindruckend die Ergebnisse (3). Die Proben beinhalteten 11.000 Viren und 1.302 Bakterien sowie 838.532 DNA-Reihen, die bis dato der Wissenschaft nicht bekannt waren und keinem lebenden Organismus zugeordnet werden konnten (4). Klingt nach Material für einen Alien-Film – und zeigt uns, wie weit am Anfang die Mikrobiologie noch immer steht.

Einflüsse auf das Mikrobiom der Großstadt

Dass Bakterien und Viren zwischen Menschen eines Haushalts oder einer Arbeitsgruppe ausgetauscht werden, ist nachvollziehbar und allgemein bekannt. Über Aerosole in der Luft oder über Oberflächen gelangen Mikroben von einem Wirt zum nächsten. Dies ist vor allem für die Ausbreitung von Krankheiten relevant. Im New Yorker U-Bahn-System konnten die Forscher beispielsweise das pathogene Bakterium Bacillus anthracis nachweisen, den Milzbranderreger. Nachdem im Untersuchungszeitraum den Gesundheitsbehörden keine Fälle bekannt waren, gingen die Forscher davon aus, dass ein durchschnittliches Großstadt-Mikrobiom immer eine kleine Menge an Pathogenen enthält (weshalb der Instinkt der eingangs erwähnten Eltern sehr richtig ist und es wirklich eklig ist, wenn Kinder an U-Bahn-Haltegriffen lutschen).

Die dauerhafte, wesentliche Zusammensetzung unseres Mikrobioms hängt von diversen anderen Faktoren ab. Schon die Art der Geburt entscheidet, welche Bakterien auf unserer Haut dominieren (5). Wie unser Darm-Mikrobiom besiedelt wird, liegt unter anderem an der Ernährung und der Einnahme von Antibiotika (6). Und welche Mikroben in unserem Hausstaub und damit in unseren Lungen zu finden sind, variiert stark zwischen Stadtmenschen und Landbewohnern (7). Nahe Fabriken und deren Emissionen zeichnen sich ebenso ab wie die Anwesenheit von Wäldern und Parks, die Filterfunktionen übernehmen können. Allgemeine klimatische Umstände wie häufige Niederschläge, starke Temperaturschwankungen oder wie konkret in der New Yorker U-Bahn die Nähe zum Meer beeinflussen das Mikrobiom. Diese Faktoren begünstigen das Wachstum bestimmter Mikroben und hemmen andere.

Erstaunlich hohe Trefferquote

Die Forscher konnten nach ihren Erhebungen 31 Spezies identifizieren, die in beinahe allen (97%) Proben enthalten waren. Dies nannten sie das urbane „Kern-Mikrobiom“. Weitere 1.145 Spezies konnten in immerhin noch 70% der Proben nachgewiesen werden. Und trotzdem lassen die Verbleibenden geringe Unterschiede zwischen den Proben zu, so dass diese mit einer Trefferquote von 88% der richtigen Stadt zugeordnet werden können. New York City als Ausgangspunkt der Studie zeichnete sich beispielsweise als typisch für das Vorkommen von Carnobacterium inhibens aus, welches eine hohe Toleranz gegenüber niedrigen Temperaturen vorweist.

Aussagekraft der Studie

Die Ergebnisse der Studie sind zwar einerseits nicht völlig überraschend, aber andererseits eine wichtige Grundlage für weiterführende Anwendungsmöglichkeiten. Die Trefferquote ist bemerkenswert hoch, wenn man bedenkt, dass Großstädte keine homogenen, in sich geschlossenen Einheiten sind, sondern beispielsweise Tourismus oder Extremwetterlagen das Ergebnis beeinflussen dürften. Die Autoren selbst schlagen Forensik oder Vorbeugung vor Bioterrorismus als Einsatzgebiete vor. Der Initiator Chris Mason betont, dass eine dauerhafte Überwachung von Großstädten hinsichtlich pathogener Mikroorganismen womöglich sogar den Ausbruch der Corona-Pandemie verhindert oder zumindest abgeschwächt hätte.

Links zu Quellen:

(1) O’Grady C, Cities have their own distinct microbial fingerprints, Science (2021), https://www.science.org/news/2021/05/cities-have-their-own-distinct-microbial-fingerprints

(2) Afshinnekoo E, Meydan C, et al Geospatial Resolution of Human and Bacterial Diversity with City-Scale Metagenomics, Cell Syst (2015), https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26594662/

(3) http://metasub.org/map/

(4) Danko D, Bezdan D, et al A global metagenomic map of urban microbiomes and antimicrobial resistance, Cell (2021), https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(21)00585-7

(5) Knight R, Delivery Method Influences Microbial Communities in Newborns, HHMI (2010), https://www.hhmi.org/news/delivery-method-influences-microbial-communities-newborns

(6) Mantegazza C, Molinari P et al. Probiotics and antibiotic-associated diarrhea in children: A review and new evidence on Lactobacillus rhamnosus GG during and after antibiotic treatment (2018), https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1043661817309234

(7) Hanski I, von Hertzen L, Fyhrquist N, Koskinen K, Torppa K, Laatikainen T, et al. Environmental biodiversity, human microbiota, and allergy are interrelated. Proc Natl Acad Sci USA (2012), https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22566627/

 

Lisa Keilhofer
Lisa Keilhofer
Autorin

Lisa Keilhofer studierte an der Universität Regensburg. Sie arbeitet im Bereich Internationalisierung und als freiberufliche Lektorin.

Dir gefällt was du gelesen hast? Teile es mit deinen Freunden!

Zurück

Datenschutz­einstellungen

Wenn Sie auf „Alle akzeptieren“ klicken, stimmen Sie der Speicherung von Cookies auf Ihrem lokalen Gerät zu. Dadurch verbessert sich die Navigation auf der Seite, Videoinhalte können dargestellt werden und wir können anonym analysieren, ob die Seiten so genutzt werden, wie gedacht. Alle Freigaben erfolgen nach den Vorschriften der DSGVO.

You are using an outdated browser. The website may not be displayed correctly. Close