von Lisa Keilhofer

Ötzis Mikrobiom besser intakt als unseres

Ötzi, der Mann aus dem Eis
Ötzi, Untersuchung © Südtiroler Archäologiemuseum/EURAC/ Samadelli/Staschitz

Ötzi – der über 5.000 Jahre alte Mann aus dem Eis – dient der Wissenschaft in ganz verschiedenen Disziplinen als spannendes Fenster in die Vergangenheit. So konnten wir in den letzten Jahren bereits lesen, wie der Jäger aus der Jungsteinzeit sich kleidete und welches seine letzte Mahlzeit war. Kriminologen wollen herausgefunden haben, dass er sich auf der Flucht befand (>>> einschlägige Verletzungen) und Verfechter der Akupunktur erkennen anhand bestimmter Einstichstellen in seinem Körper, dass auch damals schon die Behandlung mit Nadeln eine übliche Therapie war. So war es nur ein logischer nächster Schritt, dass auch Mikrobiom-Forscher bei der Gletschermumie vorstellig wurden und seine Darmflora untersuchten: >>> Mehr dazu

Was verspricht man sich von der Untersuchung?

Eine vorangegangene Studie der Universität Trient postulierte einen Zusammenhang zwischen einem niedrigeren Bakterienhaushalt und dem Anstieg von typischen Zivilisationskrankheiten wie Allergien, Übergewicht und diversen Autoimmunkrankheiten. Eine ähnliche Aussage haben wir bereits auch in einem unserer Artikel diskutiert: „In die USA einzuwandern macht dick und verändert das Mikrobiom“

Ausschlaggebend dafür scheint vor allem ein Bakterium zu sein, nämlich das Bakterium Prevotella copri, eine häufige Mikrobe. P. copri konnte nur bei 30% der (heute lebenden) westlichen Individuen nachgewiesen werden, ist dagegen in fast jeder untersuchten Probe nicht-westlicher Herkunft vorhanden. Die Forscher nahmen also das Bakterium genauer unter die Lupe und stellten zunächst fest, dass es aus vier so genannten >>> Kladen, also Abstammungs-Strängen besteht.

Die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen zeigten, dass in nicht-westlichen Kulturen drei bis vier dieser Kladen im Mikrobiom aufzufinden sind. Westliche Mikrobiome hingegen enthalten in der Regel nur eine davon.

Genetik oder Lebensweise?

Für dieses reduzierte Vorkommen kommen also im Grunde zwei Theorien in Frage: Entweder haben Menschen westlicher Abstammung „von Haus aus“ nur eine Klade in ihrem Mikrobiom und sind deswegen grundsätzlich anfälliger für die oben genannten Krankheiten. Dann wäre das Darm-Mikrobiom vergleichbar mit hellerer Haut, die eben einfach empfindlicher auf Sonneneinstrahlung reagiert. Oder – und das war die These der Uni Trient und diverser anderer Forschungseinrichtungen – die westliche Lebensweise degeneriert das Mikrobiom dahingehend, dass bereits zwei oder drei der Stränge ausgelöscht wurden.

Ötzi bot also eine ideale Gelegenheit, stichprobenartig zu überprüfen, wie die früheren westlichen Mikrobiome aussahen. Und das Ergebnis bestätigte in der Tat die Annahmen: Ötzi wies ebenfalls drei der vier relevanten Kladen auf. Diese wurden im Übrigen auch in versteinerten Stuhlproben aus Mexiko nachgewiesen, die ebenfalls mehrere tausend Jahre alt sind.

Früher war alles besser

Was sagt uns das über unsere heutige Lebensweise? Offenbar war der Mann aus der Jungsteinzeit in den Ötztaler Alpen und seine Zeitgenossen aus Mexiko (Zeitgenossen im weiteren Sinne, was sind schon ein paar hundert Jahre hin oder her in der Genetik?) besser in Form als wir heutigen Menschen, die wir uns als medizinisch und technisch hochentwickelt ansehen, eine vielseitige Ernährung zur Verfügung haben und vermeintlich die günstigeren Lebensumstände vorfinden.

Woran liegt es also? Ist es die Ernährung? Ötzi ernährte sich nachweislich viel von Trockenfleisch, genoss also die klassische Paläo-Diät. Seine mexikanischen Pendants dürften vor allem auf Basis einer ballaststoff- und stärkereichen Diät aus Maismehl gelebt haben. Die Ernährung allein kann es also nicht sein. Die medizinische Versorgung dürfte heute dank Antibiotika, Impfungen und chirurgischer Kenntnisse zumindest intensiver sein, wenngleich man nicht davon ausgehen sollte, dass Menschen in früheren Jahrtausenden keinerlei medizinisches Fachwissen hatten (im Gegenteil, siehe die eingangs erwähnten Akupunktur-Stiche auf Ötzis Haut). Es ist anzunehmen, dass frühere Generationen sehr viel mehr Kontakt zu Tieren und zur Natur (in all ihren Erscheinungsformen wie Erdboden oder auch Pollen) hatten. Und zu guter Letzt war der Einsatz von Chemikalien, Desinfektionsmitteln und ähnlichen Produkten drastisch geringer als heute. Man kann also davon ausgehen, dass es nicht nur unsere häufig kritisierte Ernährung ist, die dem Bakterium Prevotella copri zusetzen.

Ein kleiner Schritt für Ötzi, ein großer Schritt für die Mikrobiom-Forschung

Gleichwohl aber müssen wir auf Grund dieser Befunde davon ausgehen, dass in der Tat einer oder vermutlich mehrere Faktoren unserer modernen Lebensweise unser Mikrobiom schädigen und uns krank machen. Welche Faktoren dies genau sind und wie wir unser Mikrobiom sinnvoll „restaurieren“ können, kann bisher nur spekulativ beantwortet werden. Trotzdem ist die Erkenntnis um den Eismann wichtig, denn die Theorie lautet, dass tatsächlich diese drei bis vier Bakterien-Kladen über einen Großteil unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit beeinflussen. Das ist eine ausgesprochen konkrete Aussage in der ansonsten unübersichtlichen Galaxie der Mikrobiom-Forschung. In jedem Fall sollte das Bakterium Prevotella copri und seine Kladen Gegenstand zukünftiger Forschungsprojekte sein, um die offensichtlich negativen Folgen seines Verschwindens zu minimieren.

Lisa Keilhofer
Lisa Keilhofer
Autorin

Lisa Keilhofer studierte an der Universität Regensburg. Sie arbeitet im Bereich Internationalisierung und als freiberufliche Lektorin.

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